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Mein ganzes Leben habe ich gelebt ohne
zu murren und zu knurren.
Mehr noch, ich behaupte, ich habe es zu jeder Zeit genossen, weil ich
nicht groß über mögliche Konsequenzen meines Handelns
nachdenken musste. Vielleicht sollte allein dieser Umstand Grund genug
dafür sein nicht zu klagen.
Doch die letzte Nacht war dermaßen fürchterlich, dass mein
Verstand sich lange weigern wird, zu begreifen was mir widerfahren ist.
Sooft ich die Chronologie der Ereignisse auch rekapituliere, ich kann
mir keinen Reim auf die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Akteure
machen.
Erst wurde ich angefahren ohne dass der Fahrer gehalten hätte. Er wurde
nicht schneller oder langsamer, er fuhr ganz normal weiter, als wäre
nichts geschehen. Es dauerte nur einen Flügelschlag und beide Beine
waren mir nutzlos geworden. Das Linke, vollständig zermatscht, hing
unförmig aus meinem Leib heraus, das Rechte sah noch recht ansehnlich
aus, war jedoch im Kniegelenk gebrochen.
Hatte mich der Führer des Fahrzeugs
wirklich nicht bemerkt? Weder vor dem Unfall noch danach?
Hilflos saß ich mitten auf der Strasse,
als ich einen weiteren Pkw auf mich zurasen sah. Ich zog instinktiv
meinen Kopf ein, obwohl mir das auch nicht mehr geholfen hätte.
Dabei fiel mir auf, dass mein linker Flünken arg schmerzte. Auch er
schien gebrochen zu sein. Der ankommende Wagen verlangsamte sein Fahrt.
Er fuhr an mir vorbei und stoppte schließlich.
Nach einer kleinen Ewigkeit setzte
er zurück und parkte neben mir auf einem Seitenstreifen.
Türen klappten und zwei Riesen kamen auf mich zu, sprachen mich in einer
fremden Sprache an. Meine Angstgefühle beherrschten mich und mit einer
unmenschlichen Kraftanstrengung robbte ich mich unter einen parkenden
Wagen an der anderen Straßenseite. Kurze Zeit später erschien ein
gewaltiger Kopf zwischen Asphalt und Trittbrett.
Der Hüne sprach ruhig auf mich ein, ein zweiter Kopf tauchte hinter
mir auf und die Hand des ersten versuchte mich anzupacken. Unter unsäglichen
Schmerzen robbte ich außer Reichweite. Der Arm verschwand und der Hüne
redete erneut auf mich ein. Frag mich nicht wie lange, ich hatte schon
da jedes Zeitgefühl verloren.
Der Goliat verschwand und kam mit ein paar Körnern wieder, die er unter
das Auto warf. Ganz in meine Nähe. Doch ich konnte sie nicht aufnehmen.
Jede Bewegung schmerzte höllisch, auch meine Gedärme schienen in Mitleidenschaft
gezogen worden zu sein.
Schritte entfernten sich und nach einer weiteren kleinen Ewigkeit fuhr
das Fahrzeug weiter. Ruhe kehrte ein. Dachte ich vorher ich wüsste,
was eine Ewigkeit ist, wurde ich nun eines besseren belehrt. Das Warten
auf den Abschied zog sich.
Erdulden. Hinsiechen. Sterben.
Unfähig sich zu helfen, hinnehmen. Mit meinen gbrochenen Extremitäten
war es mir nicht einmal möglich meinen Tod zu beschleunigen. Bewegungslos
wartete ich in tiefster Demut ohne Aussicht auf Hoffnung.
Im Morgengrauen kamen die Raaben fanden
zuerst die Körner und dann mich. Ich sah ihre mächtigen Schnäbel Zentimeter
um Zentimeter auf mich zu kommen. Kornchen für Körnchen. Bis sie nähe
genug bei mir, bei ihrem wehrlosen Opfer angekommen waren. Ich richtete
mich so gut wie es ging auf, Versuchte eine Drohgebärde, machte mich
unter kaum ertragbaren Schmerzen so groß es ohne Beine ging. Dann spürte
ich das erste harte, laute Picken. Ihre spitzen Schnäbel zielten auf
meinen Kopf. Ein höllischer Schmerz durchfuhr mich. Fast mochte ich
ihn, denn er lenkte mich von den anderen Schmerzen ab. Ein zweites Picken.
Dann eine lange Pause in dem ich den neuen und alten Schmerz deutlich
spüren konnte. Dann kam eine zweite und eine dritte Krähe. Wieder Picken.
Picken, picken, picken. Noch ein letztes, verzweifeltes Aufbäumen, dann
rissen die Räuber mich Stück für Stück auseinander bis nichts mehr von
mir übrig war als das zerquetschte Gedärm, um das sie sich noch stritten
bis die Sonnenstrahlen die Finsternis vollends vertrieben hatten. Ich
sage euch, eine wahrlich unvergessene Nacht.
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