Immer noch der gleiche Tag

Mein Wohlbefinden habe ich Hosch zu verdanken.
Genaugenommen nicht ihm, sondern dem durchgeknallten Schamanen. Mit mir stimme etwas nicht, hätte er ihm erzählt, erzählte mir Hosch. Ich sei nicht „ich selbst“, stellte er uns einander vor. Ich kannte ihn, sah ihn oft wie toll über den Dorfplatz tanzen und grüßen. Er nahm mich mit in die Wüste, sprach kein Wort mit mir. In einer schlichten Holzhütte bedeutete er mir lautlos mich hinzulegen. Dann entzündete er jede Menge eindringlich riechendes Kraut und entlockte Musikinstrumenten die wundersamsten Klänge. Dunkle murmelnde, hellplätschernde, lang kratzende, schwingende. Geräusche, die ich gehört, aber nirgendwo einordnen konnte. Dann und wann entkamen, ich denke seinem Mund, ungewöhnliche brumm, zisch und brabbel Laute. Wenn ich meine Augen öffnete, um zu sehen, wie er den Ton erzeugte oder ob ich noch unbesabbert war, befahl mir cholerisch, sie schleunigst wieder zu schließen. Ich vertraute auf Hoschs letzte Worte, mit denen er mich in die Obhut des Bekloppten, wie GD ihn nannte, begab: „Es ist an der Zeit. Er wird den für dich geeigneten und förderlichsten Pfad durch dein vermeintliches Hindernis finden.“
Mein inneres Gerede versiegte. Hosch war nicht da, als ich ihn hörte.
„Mut verloren...alles verloren...der wäre besser nicht geboren...was immer du tun kannst... wovon du träumst...fang damit an...Mut hat Genie, Kraft und Zauber ...Vertrauen hilft, den Geist zu entspannen, seine Natur zu entdecken... sorge nicht, es könne misslingen...sie ist allseits gegenwärtig... der rauschende Wasserfall der Gedanken wird zu einem stillen Ozean des Geistes, wolkenloser Himmel...genieße die Stille...sie breitet sich sanft in dir aus... das Spiel der Gedanken versiegt...“
Als verschlösse Hosch behutsam die Tür, verschwand seine Stimme. Ich hörte noch, wie er, ganz sicher lächelnd, hinzufügte: „Gerade wenn dir das Wasser bis zum Halse steht, solltest du den Kopf nicht hängen lassen. Wer du bist, wenn du sagst „ich“, bestimmst einzig du.“
Ich schaute aufs Meer. Das Spiegelbild des Mondes, eine Illusion, leuchtend transparent, ohne Festigkeit, eine Schöpfung des Geistes. Vanillearoma. Ein vernünftiges, früh erwachsenes Mädchen aus meiner Klasse. Drei Jahre fuhren mit dem gleichen Bus, sie mit ihrer besten Freundin, ich allein. Manchmal tauschten wir ein paar Sätze. Nach einem Jahr küsste sie mich völlig unerwartet. Nicht, wenn wir alleine waren, immer in der Öffentlichkeit. Nicht flüchtig, sondern ausdauernd, aber nur Bruchteile von Sekunden gelang es mir, mich wirklich fallen zu lassen.
„Du bist über einen weißeren Schatten gegangen als die Grenze des Anstands es erlaubt.“, röhrte der Sänger von Procol Harum in meinen Ohren.


 Auszug aus: "Ein hellerer Ton als Weiß" von HK Driemert


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