Der Tod und sein Lehrer

Seine Stimme flößte Sicherheit und Geborgenheit ein, sein Verhalten zeigte Stärke.
Er wusste auf alles eine Antwort. Vielleicht war er Lehrer.
Minutiös und doch dramaturgisch exzellent referierte er über einen Barbaren und dessen Gräueltaten.
Dessen Opfer hegten zu keiner Zeit Misstrauen, erkundigten sich sogar nach Einzelheiten.
Er gab bereitwillig und ausschöpfend Auskunft. In seiner Nähe war diese ungeheure Wärme zu spüren, die zugleich Angst machte, von ihm verlassen zu werden.
Er zeigte ihnen die Zimmer seines enormen Anwesens.
Während er sie zuvorkommend, ja liebevoll führte, beantwortete er Fragen und beschrieb, wie der Mörder vorzugehen beliebte, was er mit den Getöteten anstellte. Waren sie nicht anfangs mehr?
Die Wucht der Erkenntnis wich dem Druck auf dem Herzen.

Der Mann beschrieb keine vergangenen Verbrechen. Sie waren die Geschichte. Seelenruhig tötete er einen nach dem anderen. Mit ihrem Verschwinden war auch die Erinnerung an sie ausgelöscht.
Es gelang mir nicht, auch nur ein fehlendes Gesicht zu erinnern. Aus den Augen aus dem... niemand schien es zu bemerken. Die Anzahl der Individuen dezimierte sich um mindestens eine Person, sobald sie im nächsten Raum angekommen waren.
Ich verfolgte akribisch was er tat, was er sagte, jede kleine Regung des Mannes, kam ihm jedoch nicht auf die Schliche.
Wo blieben die Vermissten?
Im vorherigen Raum, waren sie vielleicht vorausgeeilt? Ich schaute mich um: Keiner da.
Keiner da! Ich war allein mit dem selbstsicheren Mann, plötzlich. Der Nächste. Kein Zweifel.
Vor mir stand der Killer, der sich beschrieben hatte und erklärte nach wie vor ausführlich, was ich von ihm wissen wollte. Scheherazade, die Chance. Ich bombardierte ihn mit Fragen, wusste, sobald sein Redefluss versiegte, käme die Zeit der entsetzlichen Stille. '
Zuvorkommend öffnete mir der sympathische Mann die Terrassentür und wir gingen über einen gepflegten Rasen.
Heimlich spähte ich nach einem Ausweg ringsum im Zaun, im dichten, dunklen Gewächs. Der Gedanke an Flucht war wie meine Angst grenzenlos. Das Grundstück ein Gehege. Kein Loch, keine Möglichkeit, schon lange keine Fragen mehr und doch fragte ich und fragte und fragte. Es wurde mir tatsächlich peinlich und... wie lange machte übermächtige Mann das Spielchen noch mit?
In der Nähe des Gitters stand eine weiße Kommode mit vier langen Schubladen. Grinsend griff er zum untersten Kasten, zog ihn auf. usgestopft, unförmig, die Gesichtshaut über einen nicht perfekten Ball aus Gras gezogen, starrten mich vier tote Köpfe an. Ein Lederriemen schnürte sich um meinen Brustkorb. Bewegungsunfähig wagte ich nicht zu atmen.
Freundlich lächelnd wandte sich der Mann mir zu.

 

HK Driemert

 

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